Sonntag, April 04, 2010

Poleruten im Labortest



Hallo Sportfreunde,

das Wetter am Ostesonntag hier im Westen ist alles andere als einladend und so komme ich einen Tag früher als geplant dazu, Euch die Ergebnisse unseres Stipprutentests, der dank Sportsfreund Stefan Hintzen nahezu unter Laborbedingungen stattfinden konnte, kund zu tun.

Am Start waren vom fast 20 Jahre alten Stippruten Klassiker der Firma Daiwa bis zur High Tech Rute neuester Bauart, Stippruten aus nahezu allen Preis- und Qualitätsstufen.

Die Sache mit der Balance wurde ja zuletzt recht umfangreich im www diskutiert – und spätestens als ich am Kopfrutenstand der Stippermesse in Bremen saß und dort das ein oder andere Spitzentackle zur Hand nahm, war der Entschluss gereift, neben persönlichem Empfinden (das bei uns Menschen ja nicht selten von optischen Reizen wie Farben oder auch Markennamen bestimmt wird) für eine zukünftige Kaufentscheidung weitere Parameter heranziehen zu wollen…

Konkret trage ich mich schon seit geraumer Zeit damit, mein nun ca. 5 Jahre altes Tackle der Firma Casini gegen ein neueres Modell auszutauschen. Doch obgleich ich durch zahlreiche Bekannte in der Szene so manchen Zauberstab halten durfte und mich auf vielen Messen über neue Entwicklungen und Trends informieren konnte, vermisste ich doch bislang das alles entscheidende PLUS – den ganz großen Inovationsschritt!

GLEICH VORWEG MOECHTE ICH DARAUF HINWEISEN, DASS ES HIER NICHT DARUM GEHT EINE MARKE BESONDERS INS RAMPENLICHT ZU RÜCKEN ODER GAR SCHLECHT ZU MACHEN! VIELMEHR MÖCHTEN WIR EINIGE NÜTZLICHE HINWEISE GEBEN UND AUF BEGLEITERSCHEINUNGEN HINWEISEN, DIE BEI DER NUTZUNG VON KOPFRUTEN BZW: BEI DER KAUFENTSCHEIDUNG NICHT SELTEN VERNACHLÄSSIGT WERDEN.

Zauberwort Balancegewicht:




Darstellung: die auf das Zehntel Gramm genaue Digitalwaage wird millimetergenau positioniert - eine Weichschaummatte verhindert wirksam die Gefahr von Kantendruck.

Stark vereinfacht könnte man sagen, das Balancegewicht ist das, was wir beim Halten der Rute tatsächlich an Gewicht spüren. Ermittelt wird es bei horizontalem Handteil in einem Abstand von 1 m – gemessen ab Ende Handteil…

TIP!

Um unterschiedliche Werte im Balancegewicht tatsächlich vergleichen zu können, sollte zwingend die „wahre Länge“ der Ruten gemessen werden… verlasst Euch nicht auf die Angaben am Handteil… bereits das Einsetzen einer Mini Extension kann gravierende Folgen haben – und gerade im hohen Längenbereich potenziert sich das Balancegewicht rasant! Hier machen 20 bis 30 cm schon einen enormen Unterschied!

Hier einige Zahlenbeispiele der „alten“ Casini Rute:

Rute ohne 13,00 m Handteil – wahre Länge 10,80 m – Balancegewicht 2.240 gr

Rute ohne 13,00 m Handteil + Ext. – wahre Länge 11,47 m – Balancegewicht 2.720 gr

Rute mit Handteil – wahre Länge 12,31 m – Balancegewicht 3.412 gr

Rute mit Handteil + Ext. – wahre Länge 13,00 – Balancegewicht 3.998 gr

Zum Vergleich kann der durch die Firma Colmic offiziell bekannt gegebenen Wert für die neue Rute RBS 910 carp herangezogen werden:

1 Rute Balancegewicht
bei 12,86 m 3980 g ohne Kurzhandteil bzw.
bei 13,14 m 4300 g mit Kurzhandteil,

zu beachten gilt es natuerlich, dass diese Werte alleine nur wenig aussagen... sollte es gelingen die 910 einmal näher kennen zu lernen, läßt sich sicherlich einiges mehr dazu sagen...


Wie am Casini Zahlenbeispiel leicht abzulesen, schlagen ca. 1,50 m gleich mit ca. 1.300 gr zu Buche… sicher ein Aspekt, den es zu beachten gilt. Doch auch andere Kleinigkeiten, die wir gerne außer Acht lassen verändern die Performance der Rute…

So wurden die oben genannten Werte quasi an einer jungfräulichen Rute gemessen!

Bereits der Einbau eines leichten Gummizuges von 0,8 mm über 2 Teile machte sich im Test mit einem Plus von ca. 30 gr. im Balancegewicht bemerkbar…

Bei einem Hollow Elastic wie er beispielsweise sehr häufig in Karpfenruten zum Einsatz kommt, erreicht dieser Wert mit Leichtigkeit dreistellige Höhe – und verändert die Performance der Rute ganz erheblich!!!

Einen weiteren Aspekt möchten wir noch einfließen lassen – Wasser.

Fällt es als Niederschlag vom Himmel, sind wir ihm beim Angeln ob Wohl oder Übel nahezu hilflos ausgesetzt. Anders verhält sich dies bei viel Wind, dem Blockieren oder bei der Technik des langsamen Verzögerns im Fliesswasser oder beim Kanalangeln wobei die Rute sehr häufig permanent oder zeitweise mit min. 1 bis 2 Teilen unter Wasser gedrückt wird.

Ein Eindringen von Wasser in die Spitze ist dabei nur in den seltendsten Fällen zu verhindern. Dabei trägt gerade Wasser dazu bei, dass wir erheblich schlechtere Werte bei der Balance der Rute erhalten… dazu hat es sicher schon manches Teil 3 oder 4 gekostet, wenn mit vollgelaufenem Topset der Anschlag gesetzt wurde!

TIP:

Im Karpfen- oder Matchzubehörbereich gibt es viele kleine Helfer – wie Gummiperlen usw. die vor dem End-Connector montiert, das Eindringen von Wasser in die Rutenspitze verhindern… vor allem bei häufigem Fliesswassereinsatz sollte hier eine kleine Mark investiert werden um das Eindringen von Wasser zu reduzieren.

Was gibt es zur Balance und zur allgemeinen Entwicklung sonst noch anzumerken?

Beachtet man die Entwicklung der Ruten in den letzten 20 bis 25 Jahren, so gilt wohl auch für den Angelsport die alte Weisheit, dass wir das Rad nicht täglich neu erfinden können.

Ging es Ende der 80er Anfang der 90er Jahre noch um die magische Grenze einer 1 Kg schweren Rute bei einem Kaufpreis von damals knapp unter 1.000,00 DM, die wir heute übrigens als „Schwabbelstock“ bezeichnen würden, so hat der Fortschritt der Technik mittlerweile dafür gesorgt, dass sich aktuell die Topmodelle zahlreicher Hersteller in einem Gewichtsfenster von ca. 800 bis 900 gr. bewegen – grosse Fortschritte bei der Gewichtsreduktion sind in den letzten Jahren allenfalls marginal zu erkennen – der Trend im Spitzensegment geht vielmehr hin zu einer Rute „für alle Fälle“, wobei man bei manchen Herstellern selbst eine leichte Gewichtszunahme verzeichnen kann – andererseits ist jedoch die Masshaltigkeit der Ruten wieder deutlich besser geworden.

Mit anderen Worten… wer heute bis zu 2.000 Euro für das Tackle zum tollsten Hobby der Welt ausgibt, der erwartet nicht selten, dass er mit diesem Tackle im Frühjahr kampfstarke Barben am Rhein – im Sommer einen 10 Kg Karpfen im Carp O Dromo – bei der INTERPOLE ;-) selbst den feinsten Rotaugenbiss und schliesslich im Winter die 40 Kilo Fisch am Silokanal erbeuten kann. Die zu beobachtende Entwicklung scheint sich mehr und mehr auf das 3 bis 4 teilige TOPSET – sowie die Teile 5 und 6 zu konzentrieren, in denen das „HERZ“ der modernen Stange schlägt! Power sets – Match kits – Match Kits long… und Vieles andere mehr gehoeren bei nahezu allen Herstellern zum Standardpaket… nicht selten kommen Ruten mit 6 bis 8 Topsets im Bundle, die uns in die Lage versetzen zahlreiche Situationen meistern zu können.

Wer sich dem Hobby mit kleinen Schritten nähern will oder den Stock für den ganz speziellen Härtetest sucht, der greift gerne alternativ zu einem absoluten Arbeitstier… so zum Beispiel die Maver Invincible, die mittlerweile schon wieder ein Update bekommen hat und zusaetzlich in einer Light Version vorliegt.

Das Balancegewicht der Invincible liegt uebrigens bei gemessenen 12,02 ohne Extension schon bei 5.093 gr. Sicher nichts für den Bleistiftstemmer mit Bürojob – aber ein ARBEITSTIER vor dem Herrn…

Wir machten den Praxistest - ------ und brachten in der Tat eine VOLLE 0,33 L Bierflasche (Glasflasche) mit einem Gewicht von knapp 650 gr. an dieser Rute zum schweben… dont try this at home ;-) echte Schwerstarbeit





Parallel zur Ermittlung des Balancegewichts wurden mit Hilfe einer Laser – Wasserwaage die Werte für den Durchhang unterschiedlicher Rutenmodelle ermittelt…


Darstellung: Alles eine Frage der Perspektive - von vorne nach hinten fotografiert, ergibt sich ein ganz neuer Eindruck des Durchhanges.
Auch hier zeigen sich die Fortschritte der Ingenieurkunst in den letzten Jahren oder Jahrzehnten. Die Älteren werden sich sicher noch erinnern… der Anschlag der späten 80er wurde durch zahlreiche Traditionsmodelle zunächst durch eine Abwärtsbewegung der Spitzensektion quittiert – nicht selten mit einem lauten Platschen ins Wasser… doch solche Zeiten sind längst vorbei…

Der Durchhang einer modernen Kopfrute bewegt sich nach unseren Messungen zwischen 20 und 30 cm auf einer Gesamtlänge von 13,00 m. Bei Big Fish oder speziellen Carp Ruten wurden Werte bis zu 50 cm gemessen.

Auch hier sei noch einmal der Aspekt des Elasticeinbaus erwähnt… schnell wird da die beste Performance ruiniert… beim Elasticeinbau gilt es also unbedingt zu beachten… so viel wie nötig – so wenig wie möglich!

Wir hoffen in den kommenden Wochen und Monaten noch einige weitere aktuelle Modelle namhafter Hersteller „in die Hände zu bekommen“ – interessierten Lesern werden wir dann die UNVERBINDLICHEN MESSDATEN gerne zur Verfügung stellen.

Last but not least ein RIESEN DANKESCHÖN an Stefan Hintzen!

Sein Engagement hat erheblich dazu beigetragen, dass wir diesen Test unter Idealbedingungen durchführen konnten. Derzeit überlegen wir gemeinsam mit Stefan, allen INTERPOLE Teilnehmern für die diesjährige Ausgabe des Pole Spektakels im Westen einen kostenlosen Balancetest Ihrer Rute anzubieten!